Die Netz-Auguren im Silicon Valley sind sich einig: Googles eigener Browser - das ist ein Frontalangriff auf Microsoft. "Chrome" könnte nämlich für viele Nutzer sowohl Windows als auch Microsoft Office ersetzen. Zunächst wird aber wohl Firefox leiden.
Die Nachricht verblüfft Fachwelt und Computernutzer: Google startet mit "Chrome" jetzt auch einen eigenen Browser. Schneller, benutzerfreundlicher und sicherer soll er sein, so verspricht es der Internet-Konzern - und: Ab heute Abend 21 Uhr deutscher Zeit soll "Chrome" in hundert Ländern zum Download bereitstehen. Für Microsoft ist das ein Affront.
Michael Arrington vom höchst einflussreichen Technologie-Weblog TechCrunch bringt es auf den Punkt: Googles "gefühlsduseliges Gerede über User Experience" sei nicht viel mehr als "eine Schicht Farbe". Die solle einen "monumentalen Hass auf Microsoft" verbergen .
Den Erklär-Comic vom Star-Zeichner Scott McCloud (Comics richtig lesen), den Google eigens anfertigen ließ, arbeitete man bei TechCrunch frech um: Der junge Herr, der im Original auf 38 Seiten die Funktionen des Browsers erklärt, sagt dort nun: "Wir hassen Microsoft wirklich." Steven Hodson von Mashable sekundiert mit den Worten, der Browser zeige "definitiv", dass "Google seinen Marsch fortsetzt, mit dem Ziel, alles zu dominieren, was mit Ihrem Desktop und dem Web zu tun hat". Und Om Malik vom Tech-Blog GigaOm ergänzt: "Da Microsoft immer noch 72 Prozent des Browsermarktes kontrolliert, kann Google es sich nicht erlauben, dieses Geschäft dem Zufall zu überlassen. Das Web ist sein Geschäft, und der Browser ist eine unverzichtbare Waffe für das Unternehmen." Der bislang "kalte Krieg" zwischen Google und Microsoft, schreibt Kara Shwisher von All Things Digital sei mit der Ankündigung "glühend heiß" geworden.
Bislang hat Google die Mozilla Foundation und deren Open-Source-Browser Firefox unterstützt, auch finanziell. Nun macht man dem eigenen Ziehkind Konkurrenz - mit abgeworbenen Talenten. Schon Anfang 2005 wechselten mehrere Browserspezialisten von Mozilla zu Google.
John Lilly, Chef der Mozilla Corporation, gab sich im Gespräch mit Tech-Blogger Om Malik aber zunächst unbeeindruckt. Er sei nicht besorgt, sagte Lilly: "Ich weiß wirklich nicht, inwieweit uns das betreffen wird." Er gab aber zu, dass "Chrome" eine Konkurrenz darstellen werde: "Es gibt einen neuen Browser, das verstärkt den Wettbewerb." Das müsse aber nichts Schlechtes bedeuten: "Fortschritte im Browsermarkt sind gut."
"Die Bedeutung existierender Betriebssysteme verringert"
Aber gerade die Netz-Nutzer, die den Internet-Explorer nicht mögen und Mozilla einen globalen Marktanteil von etwa 20 Prozent beschert haben, werden wohl die ersten sein, die "Chrome" ausprobieren. "Offensichtlich haben Mozillas Anstrengungen Google nicht gereicht", kommentiert Kara Swisher. Bleibt abzuwarten, ob die Suchmaschinisten ihre Marktmacht voll einsetzen werden, um ihren Browser an den Nutzer zu bringen - etwa über die Google-Startseite.
Googles Browser "Chrome" soll am 2. September 2008 um 21 Uhr in über 100 Ländern zum Download zur Verfügung stehen - zunächst nur in einer Version für Windows. Versionen für Mac und Linux sind Google zufolge in Arbeit.
Googles Software "Gears" soll in "Chrome" integriert sein - was dazu führen würde, dass man auch in webbasierten Anwendungen weiterarbeiten kann, wenn gerade mal keine Internetverbindung vorhanden ist. "Gears" synchronisiert dann das, was lokal auf dem Rechner geschehen ist, mit dem, was draußen im Netz lagert, wenn wieder eine Internetverbindung besteht.
"Chrome" soll schneller sein als andere Browser, Seiten sollen schneller auf Anfragen reagieren, der Browser soll mehrere Dinge gleichzeitig tun können. Der Tempogewinn soll auf effizienterer Einbindung von Javascript beruhen. Google hat dafür eine eigene Javascript Virtual Machine namens V8 entwickeln lassen. Außerdem soll "Chrome" Speicher-Ressourcen effektiver auf die einzelnen geöffneten Tabs (Karteireiter) verteilen.
Jeder Tab soll in Chrome auf einem eigenen Prozess basieren - was konkret bedeutet, dass ein Absurz in Tab eins nicht den ganzen Browser und somit auch Tab zwei, drei und so weiter abstürzen lassen sollte. Für die flächendeckende Nutzung von Internet-Anwendungen ist das eine entscheidende Voraussetzung: Nur so ist gewährleistet, dass ein Browserfehler oder eine fehlerhafte Webseite nicht alle gerade in einer Online-Applikation gemachte Arbeit durch einen Absturz vernichtet.
Chrome soll eine Übersichtsseite mit den am häufigsten aufgerufenen Websites haben, die man dann mit einem einzigen Klick starten kann. Bei Opera gibt es das schon - dort heißt die Funktion "Speeddial". In den ersten Screenshots des Googlebrowsers heißt die Übersichtsseite schlicht "most visited" (meistbesucht).
"Chrome" basiert auf der Browser-Entwicklungsumgebung Webkit. Sie liegt auch dem Apple-Browser Safari und der Websoftware für Apples iPhone zugrunde. "Chrome" soll vollständig "Open Source" sein, so wie Mozillas Firefox. Andere Entwickler könnten also mit dem Programmcode arbeiten oder Teile davon übernehmen und in anderem Zusammenhang verwenden. Für Chrome gilt somit das gleiche wie für Googles Handybetriebssystem "Android" - das ebenfalls auf Webkit basiert.
"Chrome" soll mit ständig auf dem neuesten Stand gehaltenen Listen von gefährlichen Websites ausgerüstet werden: Einer für Seiten, die für Passwortklau (Phishing) benutzt werden, und einer zweiten mit Seiten, die im Verdacht stehen, Malware wie Viren zu verteilen. Beim versuchten Aufruf einer solchen Seite würde der Browser dann warnen - so wie das die Konkurrenzprodukte wie Internet Explorer und Firefox bereits jetzt tun.
Microsofts neuer Internet-Explorer soll ihn bekommen, und auch "Chrome" soll nicht ohne bleiben: Eine im Googlebrowser "incognito" getaufte Funktion sorgt dafür, dass alles, was in einem bestimmten Tab passiert, ohne Spuren bleibt: Keine Webseiten im Zwischenspeicher, keine Browser-History, keine Cookies. Höchst begrüßenswert für Freunde der Privatsphäre. Wer nicht will, dass Kollegen oder Gattin hinterher nachsehen können, was man so getrieben hat im Netz, surft eben "inkognito". Als Microsoft die Funktion ankündigte, bekam der neue Internet Explorer von der Netz-Nutzerschaft gleich einen Spitznamen verpasst: Porno-Browser.
Die Karteireiter oder Tabs werden in "Chrome" nicht unterhalb der Bediensymbole und der Adresszeile erscheinen, sondern darüber. So entsteht der Eindruck, dass wirklich komplette Browserfenster durchgeblättert werden. Beim Konkurrenzbrowser Opera ist das in der aktuellen Version schon jetzt so.